Ein Morgen in 66 Schritten

By Redakteur on 1. Dezember 2021 • ( Hinterlasse einen Kommentar )

Der Wecker klingelt. 5.30 Uhr. Draußen fahren die Menschen zur Arbeit. Ich schließe noch einmal kurz meine Augen. Karibische Strände ziehen durch das Hirn. Vom Bahnhof her hupt der einfahrende Zug. Ein erschrockener Blick. Schon sechs! Nichts wie hoch. Beim ruckartigen Aufstehen schmerzt der halbe Körper. Ohne Licht durch den Flur. Dunkler Teppich. Dunkle Katzen auf Morgentour. Ein schmerzvolles Quieken. Tschuldigung Katze! Ohne weitere Unfälle Einbiegen ins Badezimmer. Das Klo! Ein zweites felliges Wesen streift mein Bein. Guten Morgen Miez. Vor dem Fester sind heute aber viele Autos unterwegs? Bin ich so spät dran? Den Termin darf ich nicht verpassen! Ich öffne meine Augen. Grelles Badezimmerlicht. Scheußlich. Rituale sind abzuarbeiten. Oh Gott! Wer ist der alte Kerl da im Spiegel?! Kaltes Wasser ins Gesicht verjüngt ihn scheinbar. Unter die Arme muß auch noch was. Mist, zum Duschen reicht die Zeit nicht mehr. Den Rest regelt ein gutes Deo. Schnell rasieren, möglichst ohne ernstere Verletzungen. Katze klettert hoch zum Waschbecken. Will alles aus der Nähe sehen. Hau ab! Zahnbürste in den Schlund. 6.30 Uhr. Das wird eng. Was ziehe ich bloß an? Mein schlechtes Gewissen: Hättest du ja auch schon am Abend rauslegen können! Termin ist was Ernsthaftes. Hemd und Sakko sind angesagt. Wo ist bloß das dämliche…? Notdürftig bekleidet. Schuhe! Andere Katze sitzt drauf. Weeeg! Schnell den Schlüssel gegriffen. Raus! Auto ist lieb und startet sofort. Verkehrsgetuemmel. Auf dem Weg in die Redaktion. 6.45 Uhr. Ich schaffe das! Leichte Entspannung. Alle Parkplätze von brötchenholenden Rentnern belegt. Die haben doch Zeit, warum also jetzt?! Parke halblegal. 6.55 Uhr. Ich erreiche die Bürotür. Kunde wartet noch nicht. Ich schwitze trotz Kälte bei der Hetzerei. Anrufbeantworter blinkt. Abhören. „Entschuldigung, ich muß den Termin am Morgen absagen. Katze ist krank. Ein lautes Stoehnen.

Hartmut Winkelmann